Benjamin Coulter
15.10.2017

Ist die Hölle wirklich schlimmer als das Leben?

Ich war etwa 16 Jahre alt, besuchte einen Jugendgottesdienst und betete für einen leicht älteren Teenager. Ich konnte nicht verstehen wieso oder wie, aber dieser Teenie war offensichtlich dämonisch belastet. Teils aus Unerfahrenheit, teils aus Schmerz wurde ich ziemlich laut. Ich schrie den Dämon an. Wiederholte immer wieder ein Wort, welches ich selbst nicht verstand – möglicherweise war es der Name, des Dämons. Bald schob mich ein reiferer Christ sanft zur Seite. Dann betete er selbst für den Teenie. In einer Seelenruhe befahl er dem Dämon, dass er gehen muss.

Die Spannung, die ich verspürte, als ich für diesen Teenager betete, ist schwer zu beschreiben und doch glaube ich, dass es eine Zerrissenheit ist, die viele nachfühlen können.
Es war als würde ich diese Person an den Fingerspitzen festhalten, während diese über eine Klippe hing und ein Monster an den Beinen hochkrabbelte. Ich hatte keine Zweifel, dass ich – oder besser gesagt Gott durch mich – diesen lieben Menschen festhalten kann, doch hatte ich Angst mich so fest an den Fingern festzukrallen, dass ich sie zerquetschen könnte. Auch fragte ich mich ob der Schmerz so an den Fingern zu hängen nicht schlimmer sei als der Aufprall nach einem Fall.

Wieso lässt Gott uns nicht einfach fallen?
In der Bibel steht, dass Gott einen glimmenden Docht nicht auslöscht und ein geknicktes Rohr nicht abbricht (Jes 42,3). Aber macht er uns damit einen Gefallen? Kann es nicht sein, dass das verkrampfte Festhalten am Leben unerträglicher wird als die Hölle selbst?

Überhaupt fällt es mir schwer zu glauben, dass die Hölle so schlimm ist. Nach Augustinus (354-430 n.Chr.) existiert Übel nicht wirklich, es ist einfach die Abwesenheit von Gutem, so wie die Dunkelheit Abwesenheit von Licht und Kälte Abwesenheit von Wärme ist. Demnach ist der Tod nichts anderes als die Abwesenheit vom Leben und oder die Abwesenheit Gottes.
Leid ist ein Verlust von etwas Gutem.
Bei absoluter Gottverlassenheit haben wir nichts mehr, was wir verlieren könnten.
Wenn es aber nichts mehr zu verlieren gibt, wie kann man dann noch leiden?
Niemand friert bei absoluter Kälte, weil wir unter einer gewissen Temperatur gar nichts mehr fühlen können. Sind wir in der Hölle nicht erst recht gefühlslos und somit unfähig zu leiden?

Ich überlegte mir, dass wir vielleicht an unseren Erringungen leiden werden.
An allen Möglichkeiten, die wir gehabt hätten, aber nicht genutzt haben. Am Wissen, das wir mit Gott Leben hätten, es für uns aber nicht mehr erreichbar ist; wir bei Gott in unverdorbener Liebe leben würden; wir mit Gott kreativ sein könnten; wir dazu verdammt sein werden, dieses Bewusstsein in aller Klarheit zu behalten und wir nichts mehr daran ändern können.
Wenn mich Gott vor einer so hoffnungslosen Ewigkeit bewahren will, bin ich ihm von Herzen dankbar. Auch in allem Zeriss den ich erlebe und miterlebe.

Vielleicht irre ich mich über die Hölle. Vielleicht sind es ganz andere Quallen, die Jesus beschreibt (Mk 9,47f; Lk 16,23f).

Aber da ist noch ein viel wichtiger Gedanke.
Jesus philosophiert nicht, er weiss was uns in der Hölle erwartet, was uns im Himmel erwartet und offensichtlich glaubt er, dass es sich lohn an deinem Leben festzuhalten. Im Glauben auf Jesus kann Paulus sagen, dass unsere Leiden auf Erden nichts sind im Vergleich zu der Herrlichkeit, die wir bei Gott empfangen werden (Röm 8,18).
Jesus aber glaubt nicht, er weiss, was auf dem Spiel steht, und hat sich entschieden, dass es sich lohnt. Er nimmt nicht nur in kauf, uns leiden zu sehen, er setzt sich selbst all unseren Schmerzen aus.

Ich bin beeindruckt von ihm, dass er uns in all unserem Leid nicht allein lässt.
Jesus ist nicht der Held, wie ein Ritter mit glänzender Rüstung, der sieht, dass wir im Sumpf stecken, am Rad steht, uns ein Seil entgegen wirft, und ruft: „Da Halt dich fest ich zieh dich da raus“.
Nein er springt selbst in den Sumpf, hält uns fest und sagt:
„Keine Angst ich trag dich da durch“.