Das Geheimnis der Gemeinde
Der Gefangene
Deshalb sage ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch Heiden — (Eph 3,1)
Schon die einleitenden Worte wirken geheimnisvoll.
Paulus ist ein Gefangener – von Jesus – für uns?!
Er wurde von den Römern verhaftet. Die Juden forderten seinen Tod, weil er mit einem Griechen gesehen wurde (Apg 21,29) und öffentlich erklärte, dass Gott ihn zu den Heiden (nicht Juden) sandte (Apg 22,21).
Müsste es da nicht heissen: „Der Gefangene der Römer wegen uns Heiden“?
Paulus sieht das anders. Er sagt wörtlich: „Der Gefangene des Gesalbten (Genitiv) Jesu“ (vgl. Eph 4,1 vgl. Phil 1,13; Phlm 9). Nicht die Juden und nicht die Römer, sondern allein Jesus hat Macht über ihn. So wie Jesus zu Pilatus sagte: „Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben her gegeben wäre“ (Joh 19,11), so sagt Paulus, es gibt nur einer der über mein Leben bestimmt, das ist Jesus.
Der Beauftragte
Ihr habt ja gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch gegeben hat. (Eph 3,2)
Paulus sieht seine Gefangenschaft als Teil seines Auftrags. Ein Auftrag der Leiden beinhaltet (Apg 9,16) und doch ein Auftrag, den er mehr als dankbar annimmt. Für ihn ist es ein unfassbar grosses, unverdientes Geschenk. Eine
Gabe der
Gnade von Gott
gegeben (Eph 3,7).
Das Geheimnis
Daran könnt ihr, wenn ihr’s lest, meine Einsicht in das Geheimnis Christi erkennen […] nämlich dass die Heiden Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus sind durch das Evangelium. (Eph 3,4.6)
Sein Auftrag ist es ein Geheimnis zu lüften, welches niemand erahnen konnte (Eph 3,5), Gott aber schon vor aller Zeit beabsichtigte (Eph 3,9). Nämlich, dass wir durch Jesus Zugang haben zu Gott (Eph 3,12). Nicht, indem wir zuerst Juden werden, alle Gebote einhalten, viele Opfer bringen, zahlreiche Reinigungsrituale durchgehen, um dann vielleicht einmal im Jahr in den Vorhof des Tempels zu dürfen.
Ohne Jesus wären wir als nicht Juden schon von Geburt her ausgeschlossen, hoffnungslos und gottlos (Eph 2,11f). Durch Jesus aber haben sowohl die Juden wie wir immer Zugang zum Vater (Eph 2,18).
Das Ausmass davon ist unübertreffbar. Es heisst, dass alle Verheissungen für’s Volk Gottes auch uns gelten, es heisst, dass wir Miterben sind, sodass alles was Gott gehört – und das ist alles – auch uns gehört (vgl. Lk 15,31; Eph 1,3). Mehr noch, dass wir Teil vom Leib Jesu sind, das ist die Gemeinde.
Die Gemeinde
Mir, dem allergeringsten unter allen Heiligen, ist die Gnade gegeben worden, den Heiden zu verkündigen den unausforschlichen Reichtum Christi und für alle ans Licht zu bringen, wie Gott seinen geheimen Ratschluss ausführt, der von Ewigkeit her verborgen war in ihm, der alles geschaffen hat; damit jetzt kundwerde die mannigfaltige Weisheit Gottes den Mächten und Gewalten im Himmel durch die Gemeinde. (Eph 3,8-10)
Paulus braucht zwei Bilder, um die Gemeinde zu beschreiben. Zusammen sind wir der Leib von Jesus, seine Arme, seine Hände, abhängig voneinander und unter der Führung von Jesus: der Kopf von diesem Körper (vgl. Eph 4,15f).
Und gemeinsam sind wir der neue Tempel, der Wohnort Gottes (vgl. Eph 2,19-22).
Das heisst, wenn Menschen Gott suchen, müssen sie nicht mehr auf Jerusalem pilgern, sie werden auch bei uns fündig. Und es heisst, dass wir miteinander (nicht als Einzelperson) Jesus vertreten hier auf Erden.
Was Jesus tut, tut er durch uns.
So wichtig ist die Gemeinde für Gott! So wichtig ist die Gemeinde für die Welt!
Aber das Geheimnis, welches Paulus lüften darf, geht noch tiefer.
Gott, der das ganze Universum geschaffen hat, der die Planeten in ihren Bahnen hält, der die ganze Natur genauestens abgestimmt hat, so dass Leben möglich ist. Dieser Gott, der unendlich viel Können vorzuweisen hat, wählt die Gemeinde, um durch uns, den Mächten und Gewalten im Himmel seine Weisheit zu demonstrieren.
Ich weiss nicht wie es dir geht, aber das übersteigt mein Fassungsvermögen bei weitem. Es begeistert mich, dass wir so bedeutsam sind für Gott, und es beschämt mich, weil es mir aufzeigt, wie viel zu gering ich oft über die Gemeinde denke.
Unsere Herrlichkeit
Darum bitte ich, dass ihr nicht müde werdet wegen der Bedrängnisse, die ich für euch erleide, die für euch eine Ehre sind. (Eph 3,13)
Paulus leugnet nicht, dass er leidet. Und doch bittet er seine Leser, dass sie sich dadurch nicht entmutigen lassen.
Wenn wir begreifen, wie wichtig die Gemeinde ist, dann begreifen wir auch, wieso Paulus sich dermassen an seiner Berufung freut, dass sogar die damit verbundenen Leiden für ihn eine Ehre sind. Oder wie Paulus sagt: für uns eine Ehre sind.
Das griechische Wort, welches Paulus hier verwendet ist δόξα (doxa). Es kann mit: Herrlichkeit, Ruhm, Glanz, Ehre, Ansehen oder Schönheit übersetzt werden.
Doxa ist das würdevolle ruhmreiche Ansehen, welches Lob verdient ja gerade dazu verpflichtet.
Das Fachwort für Lobpreis ist Doxologie, aus Doxa und -Logie (Aussprache).
Die Bedrängnisse, die Paulus für die Gemeinde auf sich nahm – und ich meine auch die Bedrängnisse, die andere für die Gemeinde auf sich nehmen, – sind für uns Doxa: Grund Gott anzubeten.